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Hohes Gericht, verehrte Schöffen,
erlauben Sie mir noch ein paar Worte zu sagen, auch wenn Frau Hoffmeister den heute festgestellten Sachverhalt rechtlich eingeordnet hat, denn zu lange, musste ich all das hier schweigend ertragen.
Für mich als Vater ist nämlich trotz zweier zermürbender Gerichtsverfahren, die sich über mehr als zwei Jahre hinzogen mir bis heute völlig unklar, wieso mein Kind zu Tode kam.
Herr H******* ist Inhaber nahezu aller Führerscheinklassen. Er hat in seinem Leben viele Fahrprüfungen abgelegt, theoretische wie praktische. Nach eigenen Aussagen ist er viel unterwegs und braucht den Führerschein beruflich. Man könnte also meinen, wenn es versierte Autofahrer gibt, dann ist Herr H******* einer davon.
Und dennoch missachtete der hier sitzende Mann eine seit 22 Sekunden rote leuchtende Ampel.
Wie konnte das also passieren?
Alles was wir wissen, wissen wir ausschließlich aus den Aussagen der Zeugen und der Rekonstruktion des Unfallgutachters. Um den Sachverhalt in einem Satz zusammenzufassen: Jeder hat die rote Ampel gesehen, nur Herr H******* nicht.
Aber alles, was Sie, Herr H*******, zu sagen haben, um mir den Tod meiner Tochter zu erklären ist: „Vor meinem geistigen Auge habe ich grün gesehen.“
Herr H*******, Sie haben heute, genau wie im letzten Verfahren und genau wie in der Zeit davor, rein gar nichts zur Aufklärung beigetragen. Alle Angaben von Ihrer Seite erfolgten in Form einer Erklärung ihres Anwaltes, die niemand für nachvollziehbar hielt. Sie inszenieren sich als Opfer und versuchen, die mich als Aggressor darzustellen, indem Sie sich an einzelnen Worten aufhängen. Eine perfide Täter-Opfer Umkehr, die darin gipfelte, als der Herr Verteidiger im letzten Plädoyer zynisch behauptet, Zitat: „es gäbe hier ja nur Opfer“ und „andere Angehörige würden auch mal auf den Täter zugehen“ Zitatende. Und das nachdem er meinen Brief verlesen hatte, den er persönlich mit Androhung einer Unterlassungsklage beantwortet hatte.
Herr H*******, es gab eine Zeit, da wollte ich Ihre Version der Dinge hören. Dazu lese ich Ihnen gerne nochmal meinen ersten Brief vor, welchen Sie damals sowie heute in Ihrer Einlassung mit keiner Silbe erwähnten:
Guten Tag Herr H*******,
mein Name ist Julian Herwig. Ich bin der Vater des Mädchens, dass bei Ihrem Autounfall zu Tode gekommen ist. Ich möchte Sie gern auf ein persönliches Gespräch treffen, da ich einige Fragen habe, auf die ich bisher keine Antworten gefunden habe. Wir können dieses Gespräch gern auf neutralem Boden stattfinden lassen. Ansonsten besuche ich sie auch gerne zu Hause.
Zwecks Terminvereinbarung können Sie mir eine Nachricht an – meine E-Mail-Adresse - schreiben.
Ich habe auf diesen Brief nie eine Antwort erhalten. Dabei war das Einzige was ich wollte, eine plausible Begründung dafür, warum der Platz im Kinderbett neben meiner kleinen Tochter für immer leer bleiben wird. Ganz spontan entschied ich mich daher, als ich im Nachbarort jemanden besuchte, durch ihre Straße zu radeln und vor Ihrem Grundstück zu halten.
Sie waren gerade auf dem Grundstück zu Gange. Unverzüglich kamen Sie zur Grundstücksgrenze um mich zur Rede zu stellen. Ja, Sie waren es, der mich zur Rede stellte. Sie erzählten mir direkt von Ihrem Psychologen –– und das zu einer Zeit, wo ich noch versuchte einen Wartelistenplatz bei einem Psychologen für meine jüngere Tochter Isabelle zu bekommen. Auf die Frage, warum Sie bei den Behörden keine Angaben machen, antworteten Sie mit der festen Stimme eines gestandenen Mannes: „Weil das mein gutes Recht ist.“ Weiter sagten Sie, sinngemäß: an Entschädigung sei nicht zu denken und dass ich meine Fragen schriftlich einreichen solle, was ich dann auch tat.
Allerdings erhielt ich auch auf diese keine Antwort. Unser zweites Treffen verlief in etwa ähnlich. Sie waren wieder geschäftig auf Ihrem Grundstück zu Gange und bürsteten mich mit den Sätzen ab: „Mit dem rede ich gar nicht mehr“ und „Sie hören von meinem Anwalt“. Wie gesagt, so geschehen. So handelt und redet niemand, der täglich über das von ihm totgefahren Kind nachdenkt.
Auf Blatt 80 Band 1 der Akte steht, Sie hätten angemerkt, dass Sie ja keine Kontaktdaten der Eltern haben, um Hilfe anzubieten. Was ist daraus geworden?
Wenn Ihnen mein Umgang missfällt, hätten Sie ja auch den Kontakt zu Louisas Mama suchen können. Aber auch das ist nie geschehen.
Stattdessen haben Sie keine Gelegenheit ausgelassen, ihren Führerschein zurückzufordern. Das erste Mal, noch bevor das Blut von Louisa auf der Straße getrocknet war. Dann zwei weitere Mal schriftlich im Vorverfahren. Und dann nochmal öffentlich in der ersten Hauptverhandlung. Und weil das offensichtlich nicht reicht, zwei weitere Male nachdem Sie das Gerichtsgebäude als freier Mann verlassen hatten.
Wie kann jemand, der ein Kind überfahren hat, überhaupt jemals wieder Autofahren wollen?
Herr H*******, nach all dem, halte ich Ihre Reuebekundungen hier vor Gericht für inszeniert, absolut leer, ja geradezu heuchlerisch. Man kann sich übrigens nie selbst „entschuldigen“, sondern nur um „Entschuldigung“ bitten. Aber Vergebung muss man sich erarbeiten.
Geehrte Frau Richterin, sehr geehrte Schöffen,
Sie können die Geschichte des Angeklagten hier glauben. Sie können dem Angeklagten glauben, dass er einen bis dahin nicht vorgefallenen Aussetzer hatte. Sie können glauben, dass dort ein gebrochener und schwer traumatisierter Mann sitzt, der ohne Medikamente nicht mehr das Haus verlassen kann. Dann können sie ihn seines Weges gehen lassen. Aber dann Sie dürfen diesem Mann doch niemals wieder ans Steuer eines Fahrzeugs lassen! Denn wer kann Ihnen versichern, dass der nächste Aussetzer nicht genau dann geschieht, wenn er am Steuer eines seiner LKWs sitzt.
Oder sie können sich fragen, wie glaubwürdig die Geschichte mit dem Grün vorm geistigen Auge ist. Sie können sich fragen, warum ihm dies erst zu der ersten Hauptverhandlung eingefallen ist und er vorher gar keine Angaben gemacht hat. Sie sollten sich auch fragen, ob es relevant ist, dass die betreffende Ampel eine reine Fußgängerquerung ist und es beim Überfahren keinerlei Gefahr für sein Leben oder des seines Beifahrers gab. Sie sollten sich fragen, ob es zusammenpasst, dass der Angeklagte angeblich psychisch stark leidet, seit ein Kind durch sein Fahrzeug gestorben ist, er sich aber trotzdem sofort wieder ans Steuer eines Fahrzeugs setzen würde. Sie sollten sich auch fragen, warum auch sein Enkel keinerlei Angaben machen will und was um alles in der Welt totgeschwiegen werden muss. Und Sie müssen sich fragen, ob man 22 Sekunden lang vier Ampeln und zwei wartende Autos übersehen kann oder ob hier vielleicht doch der Tod eines Menschen beim mutwilligen Missachten der Ampel billigend in Kauf genommen wurde.
Hohes Gericht,
meine Tochter Louisa, die ich vom Kreißsaal bis zu ihrer letzten Ruhestätte begleitete, ist tot und meine Suche nach Antworten wird wohl erfolglos bleiben. Es bleibt nur noch die Hoffnung auf ein gerechtes Urteil - die Hoffnung auf ein Zeichen, dass so etwas nicht ungesühnt bleiben darf.
Ich spreche an dieser Stelle nicht nur für mich. Ich stehe hier im Namen und im Auftrag der etwa 3.000 Spender und über 22.000 Unterzeichner meiner Petition, die mir diesen Berufungsprozess überhaupt erst ermöglichte haben. Wir alle verlangen Gerechtigkeit.
Denn nach dem ersten Prozess verließ der Angeklagte das Gerichtsgebäude quasi als freier Mann, mit einer Bewährungsstrafe. Den Führerschein sollte nach Meinung des Staatsanwalts sofort, nach Meinung des Richters in einem halben Jahr zurückbekommen. Seine Verteidigung hatte mit noch weniger gerechnet und zwar mit einer Geldstrafe, die besonders gering ausfallen sollte. Dafür wurden die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zweifelhaft gering dargestellt. Laut eigener Aussage verfügte der Angeklagte, welcher sowohl damals als auch heute noch Geschäftsführer seiner Firma ist und sich – so hatte er es in seiner Einlassung selbst beschrieben – sein Gehalt selbst festlegen kann, zum Zeitpunkt der ersten Hauptverhandlung über nicht mehr als ein Nettoeinkommen von 1.400 Euro und heute sogar nur noch 1.100 Euro. Das Geld reicht dennoch anscheinend für hochkarätige Anwälte und selbst beauftragte Gutachten. Währenddessen steht auf dem Grab meiner Tochter noch nichtmal ein Grabstein.
Wahr ist hingegen, dass sein Unternehmen die ********************** im Jahr 2022, also in dem Jahr in dem meine Tochter zu Tode kam, mit einem Gewinn von 113.000 Euro schloss, dem dritthöchsten der nachvollziehbaren Firmenhistorie. Dieser entstand aus einem Umsatz von über 3 Millionen Euro, welcher der höchste der nachvollziehbaren Firmenhistorie ist. Die Mitarbeiterzahl blieb, anders als von Herrn H******* vor Gericht angegeben konstant und die Bilanzsumme wuchs ebenfalls auf eine Rekordsumme von 1,4 Millionen. Darin enthalten in der Passiva ein Gewinnvortrag, sprich ein noch nicht entnommener Gewinn der Vorjahre, von 913.000 Euro und in der Aktiva ein Kassen- und Bankbestand von über 650.000 Euro. Dies sind die offiziellen Zahlen des Handelsregisters, die ich in ausgedruckter Form auch gerne dem Gericht übergeben kann. Von der Oldtimer-Residenz GmbH, die der Angeklagte ebenfalls noch Ende 2022 führt und der ********************, in der der Angeklagte als Prokurist bestellt ist, möchte ich hier gar nicht erst anfangen.
Der Angeklagte inszeniert sich als Opfer und kam damit im ersten Hauptverfahren durch. Der damals zuständige Staatsanwalt sagte in seinem Plädoyer wörtlich, „er fühle mit dem Angeklagten“ und „in Berlin fahren wir ja alle ab und an zu schnell und auch mal über rot“ und weiter „in Berlin orientieren wir uns ja nicht an der härteren Rechtsprechung der anderen Bundesländer“. Der Richter entließ den Angeklagten mit einer lächerlich niedrigen und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe und kommentierte dies mit dem Satz „Ich glaube, damit ist dem Rechtsempfinden der Allgemeinheit genüge getan.“ Ich möchte an dieser Stelle den Paragraphen 56 des StGB zitieren, wo es heißt: Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. Eine Verteidigung, zu der sich Richter und Staatsanwalt offensichtlich nicht berufen fühlten. Die Gerichtssprecherin Frau Lisa Jani legte im TV-Interview nochmal nach und sagte wörtlich „derjenige wird nicht noch einmal die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missen lassen“, was übersetzt so viel heißt wie „Ein Kind totfahren, ups das ja jedem mal passieren“ bzw. dass jeder Autofahrer ein totes Kind frei hat.
Wie ein solches Urteil aufgenommen wird und ob es tatsächlich dem Rechtsempfinden der Allgemeinheit entspricht, kann sich ein jeder in zahllosen Kommentaren unter Zeitungsartikeln, in sozialen Netzwerken oder auf der Gedenkwebseite meiner Tochter durchlesen. Ich möchte Ihnen drei Beispiele davon auszugsweise vortragen:
Martin
Beitrag # 55
Das Urteil widerspricht jeglichem Rechtsempfinden. Es ist ein Freibrief, das Auto rücksichtslos als Waffe einzusetzen. Ein „gebrochener“ Mann, der bald wieder voller Medikamente am Straßenverkehr teilnehmen darf.
Eckhard D.
Beitrag # 77
Dieses Urteil stellt in meinen Augen ein Totalversagen der Justiz dar! Wenn Recht und Gerechtigkeit in solch krasser Weise auseinander klaffen, darf sich von den juristisch Verantwortlichen niemand wundern, wenn sich Menschen voller Empörung von solch einem System abwenden und den Glauben an eine gerechte Rechtssprechung verlieren.
Horst
Beitrag # 35
Ich habe für den Berufungsprozess gespendet, weil ich es als quälenden Mangel an juristischer und vor allem an menschlicher Fairnis empfinde, wie hier geurteilt wurde. Sein Kind wegen eines weinerlich selbstgerechten Rasers zu verlieren ist eine furchtbare Tragödie. Als Geschädigter eine derart schlechte Rechtsauslegung zu bekommen, ist ein Zynismus, der nach Widerspruch schreit.
Ich spreche an dieser Stelle also wie gesagt nicht nur für mich, sondern für alle, die durch ihre Spenden und Unterschriften gezeigt haben, dass sie das Urteil der ersten Instanz für unangemessen halten, wenn ich sage, dass mit einem solchen Urteil ist dem Rechtsempfinden in KEINER WEISE entsprochen wird. Im Gegenteil: Es bestätigt, dass Verkehrsdelikte als Bagatellen abgetan werden - selbst bei schlimmsten Folgen. Das bisherige Urteil ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Eltern, die ihren Kindern beigebracht haben, nur bei grün über die Straße zu gehen. Urteile wie jenes aus dem ersten Verfahren demontieren den Rechtsstaat und zerstören das Vertrauen in Justiz und Politik.
Verehrte Richterin, verehrte Schöffen
Im Namen aller Menschen, die mir diesen Berufungsprozess ermöglicht haben und mir somit den Auftrag gegeben haben, das hier durchzustehen: Korrigieren Sie dieses Urteil!